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Luise Egloff

Der Morgen

Die dunkle Nacht ist unserm Blick entschwunden,
Es lächelt Wonne aus den Morgenstunden;
Der Sonne Strahlen wecken die Natur,
Die ganze Schöpfung atmet neues Leben,
Und reine, sanfte Dankgefühle heben
Den Geist empor zum Schöpfer dieser Flur.

Dem selbst die Vögel früh ins Danklied singen,
Die nicht, wie wir, Vernunft von ihm empfingen,
In deren Hülle keine Seele wohnt.
Soll nun den Menschen Gottes Huld nicht rühren?
Ihn darf ein Morgen in die Schöpfung führen,
Und sein Gefühl wird tausendfach belohnt.

In Gottes Ehre duftet jede Blume,
Er lebt, Natur, in deinem Heiligtume;
Ihm dankt die Sonne ihren goldnen Schein.
Aurora steigt mit himmlisch mildem Glanze
Am frühen Morgen auf die zarte Pflanze,
Sie haucht ihr neue Kraft und Leben ein.

So wird, wenn aus des Grabes Nacht wir steigen,
Die holde Göttin unserm Blick sich zeigen,
und der Gedanke bringt mir Seligkeit:
"Das Leben gleich nur einem kurzen Schlummer,
Der frohe Morgen deckt den bangsten Kummer
Bald mit der Wolke der Vergessenheit."